Veranstaltung: | 37. ORDENTLICHE LANDESDELEGIERTENKONFERENZ BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN BRANDENBURG, 16.04.2016, Wittenberge |
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Tagesordnungspunkt: | 2. Anträge |
Antragsteller*in: | Landesvorstand (dort beschlossen am: 18.03.2016) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 18.03.2016, 09:39 |
L2: Qualitätsoffensive für die frühkindliche Entwicklung und Bildung in Brandenburg!
Antragstext
Wir Bündnisgrüne stellen Kinder in den Mittelpunkt unserer Politik. Gute
Bildung, Betreuung und Erziehung von Kindern ist der Schlüssel für mehr
Gerechtigkeit und für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. In den ersten
Lebensjahren wird das Fundament für die weitere Entwicklung eines Menschen
gelegt. Deshalb wollen wir eine Qualitätsoffensive für die frühkindliche Bildung
starten.
Unsere Forderungen:
- Frühe Hilfen für Familien ausbauen und Netzwerke für gesunde Kinder
professionalisieren.
- Teilhabe für alle ermöglichen und die Frühförderung in die Kitas
verlagern.
- Mehr Zeit der Erzieherinnen und Erzieher in den Kitas für jedes einzelne
Kind. Den Personalschlüssel weiter verbessern: Wir orientieren uns dabei
an den Empfehlungen der Bertelsmann-Stiftung mit 1 : 3 für unter
Dreijährige und 1 : 7,5 für Über-Dreijährige.
- In Kindertagesstätten mit hohem Sonderbedarf Personal sofort deutlich
aufstocken.
- Bessere Anrechnung von Zeiten für mittelbare pädagogische Tätigkeiten, wie
Vor- und Nachbereitung, Team- und Elterngespräche, Übergänge in die
Grundschule (Gorbiks) oder Dokumentation.
- Deutlich bessere Freistellung für Leitungsaufgaben, die Teambildung und
die Qualitätsentwicklung und –sicherung.
- Zeit und gute Angebote für die systematische Fort- und Weiterbildung der
Erzieherinnen und Erzieher – am besten im Haus und im Team.
- Aufwertung des Erzieher*innenberufs durch gute Qualifizierung und bessere
Bezahlung .
- Ausbau der integrierten Sprachförderung, insbesondere vor dem Hintergrund
der Aufnahme und Integration von Flüchtlingskindern.
- Qualitätsentwicklung durch Ausbau des „Beschwerdemanagements“ und eine
Evaluierung, die nicht Ranking sondern Verbesserung der pädagogischen
Arbeit zum Ziel hat.
- Stärkung der Kindertagespflege durch landesweite Standards in Vergütung
und Qualifizierung.
- Förderung und Unterstützung der Mitbestimmung der Eltern durch die
Einrichtung von Eltern-Kita-Beiräten auf Kreis- und Landesebene analog zu
den Elterngremien der Schulen.
- Die Qualität der Kita und die Höhe des Elternbeitragssatzes dürfen nicht
vom Wohnort des Kindes und der Finanzkraft der Kommune abhängen. Eine gute
räumliche und sächliche Ausstattung der Kitas muss überall im Land
gewährleistet sein. Erstellung einer Muster-Kita-Beitragssatzung für die
Kommunen.
- Kita-Bildung soll perspektivisch beitragsfrei sein, beginnend beim letzten
Kita-Jahr.
- Ausbau von Kitas zu Eltern-Kind-Zentren fördern.
Begründung
Der Ausbau und die Verbesserung der frühkindlichen Erziehung, Betreuung und Bildung ist ein wichtiger Schlüssel für mehr Gerechtigkeit und für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Gleiche Bildungs- und bessere Zukunftschancen für Kinder, die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, und die bessere Unterstützung von Alleinerziehenden sind letztlich auch die entscheidenden Instrumente für die nachhaltige Bekämpfung von Kinder- und Familienarmut.
Trotz aller Bemühungen seitens der rot-roten Landesregierung entwickelt sich die Qualität der frühkindlichen Bildung in Brandenburg nur langsam weiter. In keinem anderen OECD-Land bestimmt die soziale Herkunft so sehr über den Bildungserfolg eines Kindes wie in Deutschland.
Nie wieder lernen Kinder so viel wie in ihren ersten Lebensjahren. Wir wollen die Entwicklung von Kindern fördern, und zwar von Anfang an. Das muss schon vor der Geburt beginnen. Wir begrüßen es, dass die Mittel für die überwiegend ehrenamtlich arbeitenden Netzwerke „Gesunde Kinder“ aufgestockt werden sollen, doch muss auch geprüft werden, ob sie zielführend eingesetzt werden. Dies kritisierte jüngst der Landesrechnungshof. Wir brauchen nicht nur mehr hauptamtliche Koordinator*innen und ehrenamtliche Pat*innen in den Netzwerken, sondern vor allem mehr Qualität und Professionalität in der Arbeit mit den Familien. Wir setzen uns ein für eine bessere Verzahnung mit den „Frühen Hilfen“, für mehr Familienhebammen und qualifizierte Beratungs-, Bildungs- und Therapieprogramme für werdende Mütter und Väter im ganzen Land.
Erster Lebens- und Lernort außerhalb der Familie sind unsere Kindertagesstätten. Sie bieten Kindern einen vielfältigen Lern- und Erfahrungsraum, unterstützen und entlasten Eltern und müssen zudem manchen Kindern das bieten, was viele aus der Familie kennen: Geborgenheit, Sicherheit, verlässliche Bindungen und Förderung.
Für die Qualität einer guten Kita kommt es auf viele unterschiedliche Faktoren an. Ein maßgeblicher Faktor ist, wieviel Zeit eine Erzieher*in für jedes einzelne Kind hat. Zwar hat die rot-rote Landesregierung den Betreuungsschlüssel für Unterdreijährige als eine der ersten Maßnahmen gleich nach der Landtagswahl auf rechnerisch 1 zu 5,5 Kinder verbessert und will zum August 2016 auf 1 zu 5 gehen. Für Überdreijährige soll der Schlüssel 2017 auf 1 zu 11 verbessert werden. Dennoch bleibt Brandenburg Schlusslicht im deutschlandweiten Vergleich. Die Bertelsmann-Stiftung empfiehlt für Unterdreijährige einen Personalschlüssel von 1: zu 3, für Überdreijährige 1 zu 7,5. Auch nach der Anhebung sind die Schlüssel in Brandenburg noch deutlich schlechter.
Zudem gibt der Betreuungsschlüssel nur ungenügend Auskunft über die Zeit, die eine Erzieherin tatsächlich in der pädagogischen Arbeit direkt mit den Kindern verbringt. Denn er ist eine rein rechnerische Größe und berücksichtigt nicht die Zeit, die eine Erzieherin für weitere Aufgaben wie Elterngespräche, Teamsitzungen, Fortbildung oder die Kooperation mit anderen Institutionen benötigt. Ebenso wenig sind Ausfallzeiten wie Krankheit, Urlaub oder Fortbildungen enthalten. Eine bessere Grundlage wäre die sogenannte Fachkraft – Kind- Relation. Sie beschreibt das Verhältnis zwischen den täglichen vertraglichen Betreuungszeiten aller Kinder und der Arbeitszeit, die der Erzieherin für die unmittelbare Arbeit mit den Kindern zu Verfügung steht.
Es reicht nicht, einzelne Faktoren zu verbessern, das hat die Nubbek-Studie (Nationale Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit, 2013) deutlich gezeigt, sondern es bedarf „eines simultanen Drehens an mehreren Stellschrauben“ hinsichtlich der räumlichen, sächlichen und personellen Ausstattung.
Wir möchten die Inklusion in den Kitas weiter voranbringen und setzen uns für eine umfassende Förderung durch multiprofessionale Teams ein. Um Eltern zu entlasten und alle Kinder zu erreichen, sollte die Frühförderung möglichst direkt in den Kitas stattfinden. Auch Kinder aus geflüchteten Familien muss ein Kita-Platz angeboten werden, damit Integration frühzeitig beginnen kann.
Die Kindertagespflege spielt eine wichtige Rolle im Angebot und ist vor allem in den ländlichen Räumen eine flexible Alternative. Allerdings muss auch bei diesen Angeboten auf Qualität geachtet werden. Dazu gehören Mindeststandards zur Qualifikation und Fortbildung der Tagespflegepersonen und zu den Räumen sowie ein landesweit einheitlicher Vergütungsrahmen als Orientierung für die Kreise.
Über die Kita-Beiträge ist in Brandenburg eine Diskussion entstanden. Die Eltern-Beitrags-Satzungen werden von den Kommunen gemacht, die Gebühren können je nach Wohnort sehr unterschiedlich sein. Wir unterstützen die Erarbeitung einer Muster-Beitrags-Satzung, um für mehr Gerechtigkeit zu sorgen. Eine Elterninitiative setzt sich für beitragsfreie Kitas ein, in Berlin wird mit dem Thema Wahlkampf gemacht. Perspektivisch sollen auch Kitas beitragsfrei sein.
Die Mitbestimmung der Eltern wollen wir stärken. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Einrichtung von Eltern-Kita-Beiräten auf Kreis- und Landesebene sind geschaffen und müssen nun mit Leben gefüllt werden.
Wir wollen aus Kitas Orte für die ganze Familie machen, in denen über das Kita-Angebot hinaus alle familienorientierten Angebote gebündelt werden, die den sozialen Austausch und die Elternkompetenz stärken. Das Angebot kann von Geburtsvorbereitung über Erziehungsberatung bis zu Integrationskursen reichen. Damit können Kitas auch zu einem wichtigen Ort für die Integration von Flüchtlingsfamilien werden.
Der Ausbau der frühkindlichen Bildungsangebote ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Der Bund muss sich in Zukunft stärker für den Ausbau und die Qualität der Kindertagesstätten engagieren.
Kommentare
Thomas von Gizycki:
vom Wohnort des Kindes und der Finanzkraft der Kommune abhängen. Völlig richtig. Das tut es aber, da Kinderbetreuung Aufgabe der Kommunen ist. Wenn man das ändern will, muss man der kommunalen Ebene die Verantwortung dafür nehmen, wogegen ich mich ausspreche. Von daher läuft diese Forderung völlig ins Leere. Auch Musterkitabeitragssatzungen sind schön, können aber nur unverbindlich sein.
Klaus-Peter Gust:
Freies Spiel im Freien ist wichtig für die gesunde geistige und körperliche Entwicklung von Klein und Spielkindern. Eine Kita brauch natürlich auch einen Spielgarten. Immer mehr Kindergärten erhalten Ausnahmegenehmigungen für den Betrieb. Aufwändige Baumaßnahmen für Wärmeschutz und anderweitige Sanierungen lassen kaum ein Budget für die Gestaltung der Außenflächen übrig.
Der Mangel an eigenen Außenflächen führt dazu, dass Spielplatzbesuche aufwändig vorbereitet und organisiert werden müssen – ungünstige Wettervorhersagen, Personalmangel u. ä. führen schnell dazu, den Spielplatzbesuch ausfallen zu lassen. Doch selbst wenn der Spielplatzbesuch gelingt, unterscheiden sich Anlage und Ausstattung öffentlicher Spielplätze vielfach erheblich von einem privaten Außengelände. Höhlen, Nischen oder Büsche zum Verstecken, Kletterbäume, Kräuter- und Naschbeete oder loses Baumaterial sucht man auf den meisten öffentlichen Spielplätzen vergeblich. Damit gehen Kindern ohne eigene Kitaaußenflächen wichtige Erfahrungen und Spielgelegenheiten verloren. Von freiem Spiel jederzeit & überall kann hierbei keine Rede mehr sein!
Wir fordern:
1. Kitaneubauten sind immer mit einem ausreichend großen Außengelände zu planen. Die Befreiung von dieser Pflicht muss wieder zur echten Ausnahme werden!
2. Auch bei Umgestaltungen oder Erweiterungen von Kindertagesstätten ist auf die Gewährleistung eines adäquaten Außengeländes zu achten.
3. Die Größe des Außengeländes richtet sich nach den gesetzlichen Vorgaben und Richtwerten. Als angemessen gelten mind. 10 Quadratmeter/ Betreuungsplatz.
4. Neben ausreichender Flächenverfügbarkeit muss das Außengelände selbstverständlich gewissen Qualitätsstandards entsprechen . Hierzu zählen eine möglichst naturnahe Gestaltung, Anregungsvielfalt oder auch die Gestaltbarkeit der Spielmöglichkeiten.
5. Kitausaußenflächen müssen Bewegung und möglichst selbstbestimmtes Spiel zulassen.
6. Das Außengelände muss den Altersstufen entsprechend gestaltet sein und den Bedürfnissen nach Spiel und Bewegung ebenso gerecht werden wie nach Naturerfahrung oder Ruhe und Rückzug.
7. Bei der Entstehung sind möglichst hohe ökologische Standards anzustreben, die Partizipation der Kinder an Planung und Gestaltung des Geländes ist obligatorisch.